VIERZEHN

In dieser Nacht, lange nachdem die Party geendet hatte und unsere Gäste gegangen waren, lag ich im Bett und dachte über Ava nach, darüber, was sie über Riley gesagt hatte, dass sie hier festsäße und dass das meine Schuld sei. Ich war wohl immer davon ausgegangen, dass Riley eben doch »weitergezogen« war und mich aus freiem Willen besuchte. Es ist ja schließlich nicht so, als würde ich sie darum bitten, ständig vorbeizuschauen, das ist ganz einfach etwas, was sie freiwillig tut. Und wenn sie nicht bei mir ist, treibt sie sich wohl irgendwo im Himmel herum. Und ich weiß zwar, dass Ava nur versucht zu helfen und mir anbietet, als eine Art große Schwester mit hellseherischen Fähigkeiten zu fungieren, was sie jedoch nicht begreift, ist, dass ich keine Hilfe will. Dass ich, auch wenn ich mich danach sehne, wieder normal zu sein, auch weiß, dass das hier meine Strafe ist. Diese grauenhafte Gabe ist das, was ich verdient habe, für all das Unheil, das ich angerichtet, für die Leben, die ich vor der Zeit beendet habe. Und jetzt muss ich ganz einfach damit leben - und versuchen, nicht noch jemandem zu schaden.

Als ich endlich einschlief, träumte ich von Damen. Und alles daran fühlte sich so mächtig an, so intensiv, so eindringlich, dass ich dachte, es wäre Wirklichkeit. Am Morgen jedoch waren mir nur zusammenhanglose Bruchstücke geblieben, unstete Bilder ohne Anfang oder Ende. Das Einzige, woran ich mich deutlich erinnern konnte, war, dass wir beide durch eine kalte, vom Wind gepeitschte Schlucht rannten - auf etwas zueilten, was ich nicht genau erkennen konnte.

 

»Was ist denn mit dir los? Wieso bist du so mies drauf?«, fragt Riley und hockt in einem Zorro-Kostüm, das dem, das Eric auf der Party angehabt hatte, aufs Haar gleicht, auf meiner Bettkante.

»Halloween ist vorbei«, stelle ich fest und betrachte demonstrativ die schwarze Lederpeitsche, mit der sie auf den Boden klatscht.

»Was du nicht sagst.« Sie zieht eine Grimasse und fährt fort, den Teppich zu züchtigen. »Dann gefällt mir das Kostüm eben, na und? Ich überlege gerade, ob ich mich nicht jeden Tag verkleiden soll.«

Ich beuge mich zum Spiegel vor, stecke mir meine winzigen Diamantknöpfe in die Ohren und zerre mein Haar zum Pferdeschwanz nach hinten.

»Ich kapier's einfach nicht, dass du immer noch so rumläufst«, bemerkt sie und rümpft angewidert die Nase. »Ich dachte, du hättest dir einen Freund an Land gezogen?« Sie lässt die Peitsche fallen und schnappt sich meinen iPod; ihre Finger gleiten über das Rad, als sie meine Songliste durchscrollt.

Ich drehe mich um und überlege, was genau sie wohl gesehen hat.

»Hal-lo? Auf der Party? Am Pool? Oder war das nur mal eben so?«

Ich starre sie an, und mein Gesicht wird dunkelrot. »Was verstehst du denn davon? Du bist doch erst zwölf! Und wieso verdammt noch mal spionierst du mir nach?«

Sie verdreht die Augen. »Bitte, als ob ich meine Zeit damit verschwenden würde, dir nachzuspionieren, wenn's für mich viel Besseres zu sehen gibt. Nur zu deiner Information, ich bin ganz zufällig genau in dem Moment rausgegangen, als du diesem Damen die Zunge in den Hals gesteckt hast. Und glaub mir, ich wünschte, ich hätte das nicht gesehen.«

Ich schüttele den Kopf, wühle in meiner Schublade und lasse meinen Arger über Riley an meinen Sweatshirts aus. »Na ja, also, ich sag's dir ja nur sehr ungern, aber er ist nicht mein Freund. Ich habe seither nicht mehr mit ihm geredet«, knurre ich und finde es grässlich, wie sich mein Magen zusammenzieht, nachdem ich es ausgesprochen habe. Dann greife ich nach einem sauberen grauen Sweatshirt und zerre es mir über den Kopf, woraufhin sich der Pferdeschwanz, den ich gerade gebunden habe, auflöst.

»Ich kann ja ihm nachspionieren, wenn du willst. Oder ihm was vorspuken.« Sie lächelt.

Seufzend sehe ich sie an. Ein Teil von mir will ihr Angebot annehmen, der andere weiß, dass es an der Zeit ist, das Ganze hinter mir zu lassen, einen Schlussstrich zu ziehen und zu vergessen, dass es je passiert ist. »Halt dich einfach da raus, okay?«, sage ich schließlich. »Ich hätte gern wenigstens ein ganz normales Highschool-Erlebnis, wenn's dir nichts ausmacht.«

»Wie du meinst.« Achselzuckend wirft sie mir den iPod zu. »Aber nur damit du's weißt, Brandon ist wieder zu haben.«

Ich schnappe mir einen Stapel Bücher und stopfe sie in meinen Rucksack, verblüfft, dass ich mich bei dieser Nachricht nicht besser fühle.

»Jep, Rachel hat an Halloween mit ihm Schluss gemacht, als sie ihn dabei erwischt hat, wie er mit einem Playboy-Bunny rumgeknutscht hat. Nur war's in Wirklichkeit gar keins, es war Heather Watson, die sich als Playboy-Bunny verkleidet hatte.«

»Im Ernst?« Ungläubig starre ich sie an. »Heather Watson? Das soll wohl ein Witz sein.« Ich versuche, mir das bildlich vorzustellen, aber es geht nicht.

»Pfadfinderehrenwort. Du müsstest sie mal sehen, sie hat zehn Kilo abgenommen, ist die Spange los, hat sich die Haare glatt ziehen lassen und sieht aus wie ein völlig anderer Mensch. Leider benimmt sie sich auch wie ein völlig anderer Mensch. Sie ist so eine Art, na, du weißt schon, 'ne Lampe mit 'nem Sch davor«, flüstert sie und fängt wieder an, den Fußboden auszupeitschen, während ich diese bizarren Neuigkeiten auf mich wirken lasse.

»Weißt du, du solltest wirklich nicht andere Leute beobachten«, meine ich und mache mir mehr Sorgen darum, dass sie mir nachspionieren könnte, als um meine früheren Freunde. »Das ist irgendwie unhöflich, findest du nicht?« Ich wuchte mir den Rucksack auf die Schulter und gehe zur Tür.

Riley lacht. »Sei doch nicht albern. Es ist schön, Kontakt zu den Leuten aus dem alten Viertel zu halten.«

»Kommst du jetzt?«, frage ich und drehe mich ungeduldig um.

»Jep, und ich sitz vorne!«, antwortet sie, schlüpft an mir vorbei und hüpft aufs Treppengeländer. Ihr schwarzes Zorro-Cape wallt hinter ihr her, als sie bis ganz nach unten rutscht.

 

Miles wartet schon draußen; seine Daumen hämmern auf seinen Sidekick ein. »Sekunde - hab's gleich - okay, fertig!« Er gleitet auf den Beifahrersitz und mustert mich eingehend.

»Also - erzähl mir alles: Von Anfang bis Ende. Ich will sämtliche schmutzigen Einzelheiten wissen, lass ja nichts aus!«

»Wovon redest du eigentlich?« Ich setze aus der Einfahrt zurück auf die Straße und werfe Riley einen warnenden Blick zu, die auf seinem Knie hockt, ihm ins Gesicht pustet und sich totlacht, als er versucht, die Lüftungsschlitze anders einzustellen.

Kopfschüttelnd sieht Miles mich an. »Hallo? Damen? Ich hab gehört, ihr beide habt im Mondlicht gekuschelt, am Pool geknutscht, euch im Silberschein des -«

»Was willst du damit sagen?«, frage ich, obwohl ich es bereits weiß, doch ich hoffe, ich kann ihn irgendwie bremsen.

»Hör zu, es hat sich rumgesprochen, also versuch gar nicht erst, es abzustreiten. Und ich hätte dich ja schon gestern angerufen, nur, mein Dad hat mein Handy einkassiert und mich zum Baseball-Übungsplatz geschleift. Da konnte er dann zusehen, wie ich mit dem Schläger rumgemacht habe wie ein Mädchen.« Er lacht. »Du hättest mich sehen sollen, ich hab's total übertrieben, und er war entsetzt.' Das wird ihm eine Lehre sein. Aber wie dem auch sei, zurück zu dir. Komm schon, raus mit der Sprache. Erzähl mir alles«, befiehlt er, dreht sich zu mir und nickt ungeduldig. »War es genauso toll, wie wir es uns alle erträumt haben?«

Achselzuckend werfe ich einen raschen Blick auf Riley und bedeute ihr mit den Augen, entweder mit dem Quatsch aufzuhören oder zu verschwinden. »Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen«, antworte ich schließlich. »Aber da gibt's nichts zu erzählen.«

»Da hab ich aber was anderes gehört. Haven hat gesagt -«

Ich presse die Lippen zusammen und schüttele den Kopf. Nur weil ich schon weiß, was Haven gesagt hat, heißt das noch lange nicht, dass ich hören möchte, wie es laut ausgesprochen wird. Also würge ich ihn mit den Worten ab: »Okay, wir haben uns geküsst. Aber nur ein einziges Mal.« Ich kann spüren, wie er mich ansieht, die Augenbrauen hochgezogen, die Lippen zu einem misstrauischen Feixen verzogen. »Vielleicht auch zweimal. Ich weiß es nicht, ich hab nicht mitgezählt«, murmele ich undeutlich, lüge wie eine Amateurin mit knallrotem Gesicht, schweißfeuchten Handflächen und scheelem Blick und hoffe, dass er es nicht merkt. Denn die Wahrheit ist, ich habe diesen Kuss im Geiste so oft wiederholt, dass er mir aufs Gehirn tätowiert ist. »Und?«, drängt er ungeduldig.

»Nichts und«, erwidere ich und bin erleichtert, als ich zu ihm hinüberschaue und sehe, dass Riley weg ist.

»Er hat nicht angerufen? Oder eine SMS geschickt? Oder eine E-Mail? Oder ist vorbeigekommen?« Miles schnappt sichtlich betroffen nach Luft und fragt sich nicht nur, was das für mich bedeutet, sondern auch für die Zukunft unserer kleinen Schar.

Ich schüttele den Kopf, blicke starr geradeaus und bin wütend auf mich selbst, dass ich nicht besser damit zurechtkomme. Dass mir die Kehle ganz eng geworden ist, während meine Augen zu brennen anfangen, macht mich auch wahnsinnig.

»Aber was hat er denn gesagt? Als er von der Party weg ist, meine ich, was waren seine letzten Worte?«, fragt Miles, wild entschlossen, in diesen öden, trostlosen Gefilden einen Hoffnungsschimmer zu finden.

Ich biege an der Ampel ab und denke an unseren seltsamen, plötzlichen Abschied an der Haustür. Dann sehe ich Miles an, schlucke und antworte: »Er hat gesagt >Zum Andenken? <«

Sobald die Worte heraus sind, weiß ich, dass das ein wirklich schlechtes Zeichen ist.

Niemand behält ein Andenken an einen Ort, den er öfter aufzusuchen gedenkt.

Miles sieht mich an, und seine Augen sprechen die Worte, die sein Mund verweigert hat.

»Kann man wohl sagen«, bemerke ich, während ich auf den Parkplatz fahre.

 

Obgleich ich mir felsenfest vorgenommen habe, nicht an Damen zu denken, kann ich mich nicht gegen die Enttäuschung wehren, als ich zum Englischkurs komme und sehe, dass er nicht da ist. Woraufhin ich natürlich erst recht an ihn denken muss, bis das Ganze eine fixe Idee zu werden droht.

Ich meine, nur weil unser Kuss mehr zu sein schien als eine zufällige Knutscherei, heißt das ja nicht, dass es ihm genauso ging. Und nur weil es sich für mich verlässlich und wahr und übersinnlich angefühlt hat, bedeutet das nicht, dass es für ihn auch so war. Denn egal, wie sehr ich mich bemühe, ich werde das Bild von ihm und Drina nicht los, wie sie nebeneinander stehen, ein vollendeter Graf Fersen mit einer perfekten Marie. Während ich aufgeputzt und toupiert am Rande des Geschehens stand wie der größte Möchtegern der Welt.

Ich will gerade meinen iPod einschalten, als Stacia und Damen gemeinsam durch die Tür gestürmt kommen. Lächelnd, lachend, ihre Schultern berühren sich fast. Sie hält zwei weiße Rosenknospen in der Hand.

Er lässt sie an ihrem Tisch zurück und kommt auf mich zu, während ich mit irgendwelchen Papieren herumhantiere und so tue, als hätte ich ihn nicht gesehen.

»Hey«, sagt er und setzt sich auf seinen Platz. Tut so, als wäre alles völlig normal. Als hätte er mich nicht vor weniger als achtundvierzig Stunden geküsst und sich dann vom Acker gemacht.

Ich lege die Wange in die Hand und zwinge mein Gesicht zu einem Gähnen, in der Hoffnung, gelangweilt und müde rüberzukommen, erschöpft von Aktivitäten, die er sich gar nicht vorstellen kann. Dabei kritzele ich auf meinem Schreibblock herum, mit so zittrigen Fingern, dass mir der Stift aus der Hand rutscht.

Ich bücke mich, um ihn aufzuheben, und als ich wieder hochkomme, finde ich eine rote Tulpe auf meinem Tisch.

»Was ist? Sind dir die weißen Rosenknospen ausgegangen?«, erkundige ich mich und blättere Bücher und Unterlagen durch, als hätte ich etwas ganz Wichtiges zu tun.

»Ich würde dir niemals eine weiße Rosenknospe schenken«, sagt er, und sein Blick sucht den meinen.

Doch ich weigere mich, ihm in die Augen zu sehen, lehne es ab, mich in sein sadistisches Spielchen hineinziehen zu lassen. Ich greife nach meinem Rucksack und gebe vor, als würde ich darin nach etwas suchen. Und fluche leise vor mich hin, als ich sehe, dass er voller roter Tulpen ist.

»Du bist ein absolutes Tulpenmädchen - rote Tulpen.« Er lächelt.

»Na, hab ich aber ein Glück«, knurre ich, lasse meinen Rucksack fallen und rutsche an den äußersten Rand meines Stuhles. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was das alles zu bedeuten hat.

 

Zur Lunchzeit bin ich verschwitzt und völlig im Eimer. Überlege wild, ob Damen wohl an unserem Tisch sein wird, ob Haven dort sein wird - denn obwohl ich seit Samstagabend nicht mehr mit ihr gesprochen habe, würde ich darauf wetten, dass sie immer noch böse auf mich ist. Obwohl ich während der dritten Stunde, in Chemie, innerlich eine komplette Rede eingeübt habe, sind in dem Augenblick, wo ich sie vor mir sehe, sämtliche Worte schlagartig weg.

»Na, sieh mal, wer da ist«, bemerkt Haven und sieht mich an.

Ich rutsche neben Miles auf die Bank, der viel zu sehr damit beschäftigt ist, eine SMS zu tippen, um mich auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Unwillkürlich frage ich mich, ob ich vielleicht versuchen sollte, neue Freunde zu finden - nicht dass irgendjemand mit mir befreundet sein will.

»Ich habe Miles gerade erzählt, dass er im Nocturne dermaßen was verpasst hat, nun ist er wild entschlossen, mich zu ignorieren.« Haven zieht ein finsteres Gesicht.

»Nur weil ich mir das schon in Geschichte die ganze Zeit anhören musste, und danach warst du immer noch nicht fertig, und ich bin deinetwegen zu spät zu Spanisch gekommen.« Kopfschüttelnd fährt er mit seinen Daumenexerzitien fort.

Haven zuckt mit den Schultern. »Du bist ja nur neidisch, weil du nicht dabei warst.« Dann sieht sie mich an und versucht einen Rückzug. »Nicht dass deine Party nicht cool war oder so, denn sie war total cool. Es ist nur - da im Nocturne, das war mehr so meine Szene, weißt du? Ich meine, das verstehst du doch, oder?«

Achselzuckend poliere ich meinen Apfel am Ärmel; ich habe wenig Lust, noch mehr über das Nocturne zu hören, über ihre Szene oder über Drina. Doch als ich ihr endlich ins Gesicht sehe, stelle ich erschrocken fest, dass sie ihre üblichen gelben Kontaktlinsen gegen brandneue grüne ausgetauscht hat.

Ein so wohl bekanntes Grün, dass es mir den Atem verschlägt.

Ein Grün, das man nur als Drina-Grün bezeichnen kann.

»Das hättest du echt sehen müssen, da stand eine megalange Schlange vor der Tür, aber als die Drina gesehen haben, haben sie uns gleich reingelassen. Wir brauchten nicht mal zu bezahlen! Für gar nichts, den ganzen Abend gab's alles umsonst! Ich hab sogar in ihrem Zimmer übernachtet. Sie wohnt in einer ganz tollen Suite im St. Regis, bis sie was für länger findet. Das solltest du sehen: Blick aufs Meer, Jacuzzi, Minibar, das volle Programm!« Die smaragdgrünen Augen vor Begeisterung weit aufgerissen, sieht sie mich an und wartet auf eine enthusiastische Reaktion, mit der ich beim besten Willen nicht aufwarten kann.

Ich presse die Lippen zusammen und lasse den Rest ihres Äußeren auf mich wirken, bemerke, dass ihr Eyeliner weicher ist, rauchiger, mehr wie Drinas, und dass sie ihren blutroten Lippenstift mit einem sanfteren, rosigeren, Drina-ähnlichen Farbton ersetzt hat. Selbst ihr Haar, das sie geglättet hat, seit ich sie kenne, ist jetzt weich und wellig und so gestylt wie Drinas. Und ihr Kleid ist seidig und auf Taille geschnitten, im Vintage-Look, wie etwas, das Drina tragen würde.

»Und, wo steckt Damen?« Haven sieht mich an, als ob ich das wissen sollte.

Statt einer Antwort beiße ich von meinem Apfel ab.

»Was ist denn passiert? Ich dachte, ihr beide wärt zusammen?«, fragt sie hartnäckig weiter.

Und ehe ich antworten kann, blickt Miles von seinem Handy auf und wirft ihr den Blick zu - diesen Blick, den man mit Habt Acht, ihr, die ihr euch hierher begebt übersetzen kann.

Sie schaut von Miles zu mir, schüttelt den Kopf und seufzt. »Von mir aus. Ich wollte nur, dass du weißt, dass ich da überhaupt kein Problem mit habe, also mach dir keinen Kopf, okay? Und es tut mir leid, dass ich ein bisschen komisch zu dir war. Aber da bin ich jetzt total drüber weg. Ernsthaft. Kleinfingerschwur.«

Widerstrebend hake ich meinen kleinen Finger um ihren und lasse mich auf ihre Energie ein. Und bin vollkommen verblüfft, zu merken, dass sie es tatsächlich ernst meint. Ich meine, am Wochenende hat sie mich noch zum Staatsfeind Nummer 1 erklärt, aber jetzt macht ihr das Ganze eindeutig nichts mehr aus, obwohl ich wirklich nicht verstehe, warum.

»Haven -«, setze ich an und überlege, ob ich das wirklich tun soll, aber dann denke ich, ach, was soll's, ich hob nichts zu verlieren.

Lächelnd sieht sie mich an und wartet.

»Ah, als ihr - ins Nocturne gefahren seid ... Seid ihr da ... habt ihr da vielleicht... Damen getroffen?« Erneut presse ich die Lippen zusammen und warte; ich spüre, wie Miles mir einen scharfen Blick zuwirft, während Haven mich lediglich anstarrt, ganz offenkundig verwirrt. »Weil, die Sache ist die, er ist gleich nach euch gegangen - also dachte ich, vielleicht...« Sie schüttelt den Kopf. »Nein, hab ihn nicht gesehen«, sagt sie und angelt mit der Zungenspitze einen Klecks Zuckerguss von ihrer Lippe.

Ich weiß es eigentlich besser, dennoch suche ich mir diesen Augenblick für eine visuelle Reise durch das Kastensystem der Mittagspause aus, durch die alphabetische Hierarchie. Fange bei Z an, bei unserem niederen Tisch, und arbeite mich bis zu A vor. Frage mich, ob ich Damen und Stacia dabei antreffen werde, wie sie auf einer Wiese voller weißer Rosenknospen herumtollen oder irgendeinen anderen verkommenen Akt vollziehen, den ich lieber nicht mit ansehen möchte.

Doch obwohl dort drüben alles wie immer ist und jeder dieselben alten Nummern abzieht, ist dort zumindest heute blumenfreie Zone.

Wahrscheinlich weil Damen nicht da ist.